Forschungsstelle Reitia
Die religionsarchäologische Forschungsstelle "Reitia" bildet eine Abteilung des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln. Sie beheimatet das von Prof. Dr. H.-W. Dämmer geleitete DFG-Projekt "Das venetische Reitia-Heiligtum von Este-Baratella".
DFG-Projekt
"Das venetische Reitia-Heiligtum von Este"
Der Fundplatz des Reitia-Heiligtums liegt etwa 1 km südöstlich des Zentrums von Este, in der nord-italienischen Region Venetien (Prov. Padua) (Abb. 1).
Die Stadt Este liegt am südlichen Fuß der Euganeischen Hügel, die sich bis 600 m aus der Poebene erheben. 12 km südlich von Este verläuft heute die Etsch in Richtung der Adria, jedoch noch in römischer Zeit verlief der Fluss, oder einer seiner Nebenarme, mitten durch das Stadtzentrum von Este. Der Ort lag also während der fast eintausendjährigen Geschichte des Reitia-Heiligtums an einer der Hauptrouten, die etschaufwärts die griechisch-etruskischen Küstenstädte Adria und Spina und das Gebiet um das etruskische Bologna mit dem inneralpinen Raum und der Zone nordwärts der Alpen verband. Das Heiligtum selbst lag auf einer Sanddüne direkt am Fluss, in einer verkehrsgeographischen Schlüsselposition, am Nordrand der weiten Lagunenlandschaft der Poebene mit ihren sich bei Hochwasser regelmäßig verändernden Flussläufen und Sümpfen.
Wie zahlreiche andere Fundstellen im Gebiet von Este, wurde auch der Fundplatz des Reitia-Heiligtums bereits am Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt (Abb. 2). 1880 wurden bei der Anlage eines Drainagegrabens auf dem Fondo Baratella erste Funde geborgen. In der Folgezeit barg der Grundbesitzer Baratella, leider ohne jegliche Dokumentation, insgesamt etwa 14.000 archäologische Funde, die fast vollständig vom örtlichen Museum angekauft wurden und im heutigen Nationalmuseum Este ausgestellt und archiviert sind. Unter den geborgenen Gegenständen von einzigartiger Bedeutung, dem größten Votivkomplex dieser Zeit in Italien, befinden sich auch Funde mit Weiheinschriften, die bezeugen, dass das Heiligtum einer lokalen Göttin namens Reitia geweiht war, die als Göttin des Flusses, der Furt, des Handels Bedeutung hatte und bei deren Verehrung die Verwendung von Schrift eine besondere Bedeutung zukam. In römischer Zeit wurden die Reitia-Kulte durch die Verehrung der Minerva ersetzt oder ergänzt.
Ziel des 1987 begonnenen und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts war es, einen Beitrag zur Frage der Entstehung prähistorischer Heiligtümer in der randmediterranen Zone zu liefern. Im Reitia-Heiligtum von Este, dem größten sakralen Komplex dieser Zeit, bot sich die einmalige Gelegenheit zur vollständigen Aufarbeitung eines 14.000 Objekte umfassenden Altfundbestands. Gleichzeitig konnten durch eine moderne Ausgrabung gesicherte Hinweise auf die Baustruktur und Ausstattung des Heiligtums und deren Wandel im Laufe der Jahrhunderte gewonnen werden.
Vor Beginn der Ausgrabungen wurde im Jahr 1986 eine geomagnetische und geoelektrische Prospektion auf dem Gelände durchgeführt. Im Ergebnis zeigten sich in mehreren Bereichen Anomalien, die auf das Vorhandensein von Befunden und Gebäuderesten im Boden schließen ließen. Entsprechend dieser Untersuchungsergebnisse wurden in den Jahren 1987 bis 1991 zusammenhängende Grabungsflächen angelegt, die den heiligen Bezirk von seiner Nord- bis zur Südseite erschlossen (Abb. 3). Neben zahlreichen bedeutenden Befunden, wie einer Reihe von Aschenaltären, denen ein römischer Langbau von 70 m Länge folgte, wurden mehr als 5000 Neufunde geborgen, die eine Nutzung des Heiligtums vom 7. Jh v. Chr. bis in das 4. Jh. n. Chr. belegen.